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Lena Mai Merle - Animal Crossing
Ort: EMDE GALLERY - Mainz
Lena Mai Merles „Animal Crossing“: Die Frage nach dem Ding – von Birte Fritsch (Kuratorin im Museum Zentrum für verfolgte Künste)
Den Eintritt in die Ausstellung markiert ein großformatiges Portalbild: „Mein Gesicht, ein Pauschalist“. Es referiert auf sogenannte Facefilter in Apps, die hier im Raum schwebend angeordnet sind. Facefilter, die eigentlich immer dann aufploppen, wenn ein Gesicht vor der Kamera auszumachen ist, das heißt, wenn ein Algorithmus Merkmale erkennt, die in Summe ein Gesicht ergeben – nur um ihm anschließend neue Merkmale überzustülpen, die es maskieren oder zumindest kaschieren, die in Summe Nullen und Einsen sind.
Sie sind Teil einer Augmented Reality, die uns alle seit Jahren umschwebt, sind Maske und Maskerade, Teil einer Jahrtausende alten Tradition und Pixel in der Gegenwart. Hier begegnen wir ihnen gelöst vom Gesicht, bezeichnenderweise in einem Format, das den Displays unserer Endgeräte in seinen Verhältnissen entspricht. Ihrer Verwendung in der digitalen Welt ist hier die Repräsentationsebene entzogen, wir begegnen ihnen als Entitäten, als Realität(en) einer neuen Repräsentation, angeordnet um ein verheißungsvolles Licht, einen Fixpunkt im All, im absoluten Vakuum. Das also ist die Schwelle ins Werk von Lena Mai Merle.
Das Spiel mit und um die Virtualisierung wird uns wiederbegegnen. In „Mein Gesicht, ein Pauschalist“ zunächst aber finden wir uns Hülsen gegenüber, die Hinweise geben auf ihre Existenzgrundlage: Da, wo das Gesicht keine physische Limitation mehr hat, wo Selbstbild und Fremdbild ein hybrides Eigenleben entwickeln, lassen sich Narziss und ein Ventriloquist ausmachen, der eigentlich ein Soliloquist ist. Im Monolog mit sich selbst wirkt das Bild wie eine Antiklimax des „Picture of Dorian Gray“ und ist gleichzeitig das einzige Werk der Ausstellung, das nicht auf ein Ding, sondern vielmehr auf ein Ding an sich verweist. Das, was sonst fragmentarisch auf die Automatismen seiner Aktivierung wartet, holt Lena Mai Merle auf die Leinwand.
Die Schwelle der Digitalität schafft auch den Übergang zu ihren Plastiken, die dahinter aufgestellt den Raum durchstoßen, die dritte Dimension einnehmen, mit ihrer AR-Komponente hinein in die Vierte Dimension ragen. Das Repräsentationsbild mit Facefilter firmiert als Repräsentationsbild, die Augmented Reality Teile von Skulpturen sind keine Facefilter für die Skulpturen, funktionieren jedoch nach (beinahe) demselben Prinzip.
„Bild ist Bild und eben auch Objekt“, sagt Lena Mai Merle. „Animal Crossing“ bringt im Bild und im Raum, in verschiedenen Dimensionen, Objekte zusammen.
In den um Virtual Reality erweiterten Plastiken, begegnen uns Topoi verklärter Frömmigkeit und alltäglicher Fetischisierung: der trunkene Mönch als die dionysische Huldigung des Trinkens an sich. Im kitschigen Kleinod liegen die liebgewonnenen Motive einer Volkstümelei und der Verherrlichung des Verzehres. Im Konsumieren überhaupt liegt ein Motiv der gesamten Ausstellung, im Kapitalismus ist im Objekt schließlich immer auch dessen Konsum, sein Gebrauch gleich inbegriffen.
Die Protagonistin im Bild „Not even with savoir faire will fate favour the pesterer“ zieht ihre Vorhänge und damit das Fenster zu, durch das sie die Welt und uns betrachten könnte. In der Privatheit des Bildraums auf der anderen Seite der Leinwand befindet sie sich in der Gesellschaft ihrer Objekte.
Als Betrachter*in steht man vor diesem Fenster, vielleicht erkennt man in ihr Vera F. Birkenbihl, sie trägt, sehr bezeichnend, ein „Up Another Level“-Shirt, in ihrem Blick liegt Gewissheit. Neben ihr stehen Porzellanfiguren, eine in den Innenraum gerichtet, eine zum Betrachter gedreht, sie schaut geradezu aus dem Fenster – wollte man ihr ein Eigenleben zugestehen. Während Figur und Vera also einen Blick aus dem Fenster werfen, bleibt die Frage im Raum, inwiefern hier Objekten eine eigene Agency zukommt, oder wie wir sie lesen. An dieser gedanklichen Kreuzung verharrt „Animal Crossing“: Allzumenschliches Nichtmenschliches loten die Betrachter*innen in den anthropozentrischen Umgebungen der Bildwelten selbst aus, wo die Realität(en) durch das Imaginative, Sinnliche des Objektes erweitert werden.
Vera indes zieht ihre Vorhänge zu, schützt sich und ihre Objekte vor den Blicken der anderen und gönnt ihnen und sich eine Intimität. Darin leben die Dinge und ihre Geschichte, ihre Bedeutung (fort). „Mir sind es liebe Gegenstände“ zitiert Lena Mai Merle sich und uns alle Menschen im Gespräch. Die Historizität der Dinge schwingt immer mit im Zeitraum-Kontinuum und ist Evokation der Gegenwart. Hier begegnen wir dem Eigenleben und Narrativ der Gegenstände, das doch ein menschgemachtes, ein konstruiertes ist: „nur im Augenwinkel kann man Ihnen Abkaufen, dass sie ein Eigenleben führen“ so Merle. Sie alle haben eine Eigengestalt und eine Gestalt, die sie annehmen.
„Gegenstände haben eine Widerspenstigkeit“, sagt Lena Mai Merle, sie gibt das Beispiel des Stuhls im Schlafzimmer, auf dem sich doch und scheinbar unentwegt die Wäsche stapelt, als dass er Stuhl ist. Manche Dinge sind für sich etwas anderes als an sich.
So ist es bereits Prinzip, dass das Meth in „Chrystal Meth“ auf das griechische μέθοδος (methodos) referiert und nicht auf die Droge, wobei es durchaus doppeldeutig gelesen werden kann, wie eben Objekte hier gelesen werden können, immer mindestens „eine“ Rolle spielen. „Es geht mir nicht darum zu zeigen: Seht her, das waren die Neunziger“ sagt Merle mit Blick auf das Bild. Auf die Meerjungfrauen deutend ergänzt sie: „letztlich sind das nur anthropomorphisierte Fische“. Doch trotz ihrer Steifheit haben die dargestellten Plastikpüppchen im Bild eine weitere anthropomorphe Bezugskomponente, die in ihrer Anordnung liegt und ihrer Konstellation Spannung verleiht, sie in einen weiteren Bezugsraum stellt, der menschlich gelesen werden kann. Sie haben einen vermeintlichen Austausch, stehen im Dialog, bewegen sich in einem Spannungsfeld, obwohl sie Unbewegte sind.
In ihrer Performance bewegt sich Lena Mai Merle wortwörtlich im selben Spannungsfeld, bloß auf der anderen Seite der Skala: Sie inszeniert Furrys. Furrys sind Menschen, die aussehen möchten wie niedliche Stofftiere, Menschen, die Spielzeuge darstellen. Die Objektifizierung einer über das Verniedlichte gehenden Ästhetik der Harmlosigkeit und darin zurückgenommenen Agency. Im Furry begegnen sich die Anthopomorphisierung der Furrys, deren ästhetische Entscheidung es eben nicht ist, wilde Tiere darzustellen, sondern wie „Menschentiere“ sind. Chimären aufrechten Ganges, die ihr eigenes im Dazwischen erschaffen, in der Verschiebung; dem Verhältnis in Übertragung zum eigenen „Kuscheltier-Ich“. Diese Formverwandlung greift Merle hier als Konzept, indem sie Tattoos auf die Fell-Objekte setzt und damit ein mehrfach codiert anthropomorphes Wesen schafft, indem sie mit Windowcolour auf ihre Bilder malt.
„Animal Crossing“ firmiert an den Grenzen der Gestalt und Ding Dichotomie: „I’m a Furry in a female body“ und jede*r ist eingeladen sich mit ihm in Bezug zu setzen.
So können Lena Mai Merles Arbeiten den Raum brechen zwischen Betrachter*in, Objekt und Medium – einen neuen Raum kreieren, indem man sich als Objekt hinzusetzt, wie man AR-Skulpturen in den Raum projiziert. Das Objekt wird zum Ding an sich, zur ästhetischen Erfahrung, zum Referenzraum, der auf konkrete Objekte genauso verweist, wie ihr Erleben im Zusammenspiel von Wein, Display und Dimension. Customized Sculptures sind wir doch am Ende alle.
Künstlerin
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